Droht ein Zinsschock wegen der Inflationsbekämpfung?

Die Fed und die EZB haben in den letzten Wochen und Monaten schon die Leitzinsen moderat erhöht. Von der US-amerikanischen Fed wird indes nun ein wesentlich größerer Zinsschritt zur Inflationsbekämpfung erwartet. Die EZB steht ebenfalls unter erheblichem Handlungsdruck. Das dürfte die Börsen belasten, denn die Rallye der letzten Jahre basierte zu einem großen Teil auf den historisch niedrigsten Zinsen seit Menschengedenken. Experten warnen nun: An den Börsen sei viel „Luft nach unten“ (heise, 19.09.2022).


Inflationsentwicklung im Dollar- und Euroraum

Im Euroraum dürfte die Inflation noch weiter ansteigen, für Deutschland erwartet die Bundesbank spätestens ab Januar 2023 zweistellige Raten. In den USA hat sie hingegen ihren Höchstwert offenkundig schon überschritten. Da die EZB aber mit ihren Leitzinserhöhungen viel zu zögerlich vorging, hat nun die europäische Inflation im August 2022 den Rekordwert von 9,1 % erreicht. Dies ist eine ohnehin aufgehübschte Inflationsrate, die offiziell verkündet wird.

Im Detail fällt sie nämlich für einzelne Haushalte noch viel höher aus. Geringverdiener werden erheblich durch die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise belastet, die bei ihnen einen wesentlich höheren Anteil vom verfügbaren Haushaltseinkommen verschlingen. Ihre gefühlte Inflationsrate dürfte um 15 % betragen. Die EZB hat nun viel zu spät ihre Geldpolitik geändert und zuletzt die Leitzinsen um 75 Basispunkte (0,75 %) erhöht. Den Fehler der zögerlichen Reaktion auf die Inflationsentwicklung darf man praktisch allen westlichen Notenbanken vorwerfen. Sie laufen nun der prekären Entwicklung hinterher: Seit 2009 haben sie die Märkte mit einer Geldschwemme aus Nullzinsen und Anleihenaufkäufen geflutet.

Die Fed und die EZB haben die Leitzinsen moderat erhöht. Von USA wird indes nun ein wesentlich größerer Zinsschritt erwartet.
Droht ein Zinsschock wegen der Inflationsbekämpfung?

Das rächt sich jetzt. Dass Leitzinserhöhungen durchaus gegen die Inflation wirken, hat die Fed bewiesen: Sie hat nach der Rekordinflation in den USA von ebenfalls 9,1 %, die dort schon im Juni 2022 erreicht worden war, gleich zwei kräftige Zinsschritte von je 75 Basispunkten unternommen. Die US-Leitzinsen liegen nun bei 2,5 %, die Inflationsrate sinkt seitdem. Im Juli erreichte sie nur noch 8,5 %, im August sank sie weiter auf 8,3 %.

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Weiter starker Handlungsdruck

Der Handlungsdruck auf die Notenbanken bleibt bestehen. Die Fed dürfte schon morgen (21. September) einen weiteren Zinsschritt verkünden. Er könnte deutlich ausfallen: Experten erwarten, dass die US-Leitzinsen künftig eine Spanne von 3,0 bis 3,25 % erreichen. Im Euroraum liegen die Leitzinsen aktuell bei 1,25 %, was den Euro gegen den US-Dollar weiter abwerten dürfte. Schon seit Juli 2022 pendelt er um die Parität zur US-Währung.

Folgen für die Wirtschaft

Da die meisten Energierohstoffe in Dollar gehandelt werden, wird sich mit der zunehmenden Euroschwäche die Energie in Europa weiter verteuern. Dies wird die Inflation weiter nach oben treiben. Europa ist ohnehin von sinkenden Inflationsraten noch weit entfernt. Im Einklang mit der Inflationserwartung der Bundesbank warnt das ifo-Institut vor eine handfesten Winterrezession. Diese könne schon im späten November beginnen, während die Inflationsrate mit den erwartbaren Preissteigerungen der Energieversorger ab Januar 2023 spätestens im kommenden Frühjahr nochmals nach oben schießen dürfte.

Das Kieler IfW (Institut für Weltwirtschaft) schließt sich der Einschätzung an und erwartet ebenfalls eine Rezession. Der Chf der Konjunkturforschung beim ifo-Institut Timo Wollmershäuser erwartet erst ab 2024 wieder normale Entwicklungen, die mit etwas Optimismus ein moderates Wirtschaftswachstum bei einer Inflationsrate von ~2,5 % erwarten lassen. Das würde schon fast der EZB-Zielmarke von 2,0 % entsprechen.


Pessimistischere Einschätzungen

Nicht alle Experten teilen den Optimismus des ifo-Chefs. Es gibt auch Prognosen, die ein deutlich negativeres Bild malen. Immerhin ist die Inflationsentwicklung, die ihre Ursachen zu einem großen Teil in früheren Zinsentscheidungen und der Coronapandemie hat, seit nunmehr sieben Monaten mit dem Ukraine-Krieg und der europäischen Energiekrise verknüpft. Auf beiden Feldern ist eine kurzfristige Entspannung nicht zu erwarten. Wenn aber die Preise noch weiter steigen, müsste die EZB für eine reale Inflationsbekämpfung sehr massiv die Leitzinsen erhöhen. Dies würde wiederum die Wirtschaft abwürgen, weil es Kredite enorm verteuert.

Dafür warnt unter anderem Prof. Henrik Müller von der Technischen Universität Dortmund. Er kann sich aktuell vorstellen, dass die Fed ihren Leitzins sogar noch weiter erhöht, was er einem Statement der Fed-Vizepräsidentin Lael Brainard entnimmt. Diese hatte zuletzt auf die Aufgabe der Notenbank verwiesen, die Preisstabilität anzusteuern. Man werde daher die Zinsen so lange erhöhen, bis die Inflation signifikant sinke, so Brainard. Damit reagiert die Fed auf tiefere Ursachen der Inflation: Diese basiert eben nicht nur auf dem Ukraine-Krieg, auch wenn dieser als Ausrede gern herhalten muss. Das Kernproblem der zu niedrigen Leitzinsen dürfe man daher nicht verschleppen, warnt unter anderem der Finanzexperte Thomas Mayer, früherer Chefvolkswirt bei der Deutschen Bank. Er verweist auf die Geschichte: Es gab nach 1970 in den USA auch einen Leitzinssatz von zeitweise 19 %. Das Ende der Fahnenstange ist also noch längst nicht erreicht.

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