Die Illusion vom Aufbruch – warum Deutschland politisch gefesselt bleibt

Die neue Regierung inszeniert sich als Motor eines politischen Aufbruchs. Nach Jahren der Blockade wirkt das Aufatmen real. Doch der Eindruck täuscht. Hinter wohlklingenden Programmen verbergen sich alte Muster, halbgare Reformen und kleinteilige Maßnahmen. Der versprochene Wandel bleibt an entscheidenden Stellen aus (nzz: 13.06.25).


Aufbruch ohne Richtung

Die Koalition verkauft ein „Sofortprogramm“, das kaum diesen Namen verdient. Steuererleichterungen sollen erst in Jahren greifen. Die angekündigte Rentenreform besteht aus vagen Absichtserklärungen. Konkrete Strukturreformen fehlen. Stattdessen häufen sich Einzelmaßnahmen wie neue digitale Verfahren oder Detailänderungen im Tierschutzrecht. Der ersehnte Aufbruch verkommt zur bürokratischen Fleissarbeit.

Der angekündigte Aufbruch bleibt Illusion: Deutschland braucht Reformen statt Symbolpolitik – doch die Koalition liefert keine Antworten
Der angekündigte Aufbruch bleibt Illusion: Deutschland braucht Reformen statt Symbolpolitik – doch die Koalition liefert keine Antworten

Einige Gruppen profitieren kurzfristig: Pendler, Bauern, Rentner. Doch das ersetzt keine grundlegende Neuausrichtung. Wirtschaftspolitisch bleibt der Kurs reaktiv und zu oft interessengesteuert.

Bürokratie als Bremsklotz

Obwohl Deutschland über eine breite industrielle Basis verfügt, bremsen komplizierte Genehmigungsverfahren und überbordende Regulierung den Fortschritt. Verwaltung und Politik versuchen, durch Vorschriften jedes Risiko zu bannen. Die Folge: Innovation erstickt unter dem Gewicht der Regelwerke.

Im Gegensatz dazu setzen die USA auf mehr Eigenverantwortung und klare Haftungsregeln. Dort fördern wenige Eingriffe unternehmerisches Handeln. In Deutschland lähmt das Misstrauen gegenüber der Eigeninitiative die Wirtschaft zunehmend.

Gesetze gegen Leistungsträger

Monster wie das Lieferkettengesetz oder das KI-Regelwerk entstehen aus übertriebener Vorsicht. In keinem anderen EU-Land treffen diese Maßnahmen so stark wie in Deutschland. Die Kosten wachsen, während globale Unsicherheiten, Energiepreise und Fachkräftemangel bereits drücken. Die Politik liefert keine Entlastung, sondern verschärft die Lage.

Industrie und Mittelstand verlieren Vertrauen. Statt Aufbruch herrscht bei vielen Unternehmen Fluchtstimmung. Investitionen verlagern sich ins Ausland, weil dort geringere Hürden bestehen.

Der Arbeitsmarkt unter Druck

Die Tarifautonomie hat ihren Stellenwert eingebüßt. Der Staat diktiert Löhne und Mindeststandards. Seit 2015 stieg der Mindestlohn um 51 Prozent – deutlich mehr als die Produktivität. Damit steigen nicht nur Löhne, sondern auch Abgaben und Bürokratiekosten. Marktgerechte Anpassung rückt in weite Ferne.

Kanzler Merz schweigt dazu. Die SPD verlangt höhere Mindestlöhne und setzt den Kurs sozialpolitischer Expansion fort. Der Mittelstand wird zum Zahlmeister einer staatlich gesteuerten Lohnpolitik, die ihre eigene wirtschaftliche Grundlage schwächt.


Bürger zahlen, Staat verteilt

Mit einem Abgabensatz von über 40 Prozent schultert die Mittelschicht die wachsenden Sozialausgaben. Gleichzeitig vernachlässigt die Regierung gezielte Entlastung. Die Steuer- und Abgabenlast ist doppelt so hoch wie in der Schweiz. Dennoch bleiben strukturelle Reformen aus.

Statt den Sozialstaat effizienter zu machen, gibt Klingbeil trügerische Versprechen ab. Leistungskürzungen schließt er aus, Fantasie solle genügen. Das ist populistisch, aber kein Reformkurs. Die Koalition meidet jede Zumutung – und ignoriert die Dynamik eines schrumpfenden Beitragszahlerkreises.

Ohne echte Kurskorrektur kein Aufbruch

Deutschland braucht nicht mehr Programme, sondern weniger Fesseln. Ein echter Aufbruch setzt voraus, den Staat zurückzudrängen und private Initiative zu stärken. Solange die Politik lieber verwaltet als erneuert, bleibt der Riese gelähmt – trotz guter Voraussetzungen. Die wirtschaftliche Stärke existiert noch, doch sie lässt sich nicht dauerhaft gegen Strukturen verteidigen, die mehr bremsen als ermöglichen.

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