Der deutsche Atomausstieg ist pure Ideologie

Die Verwirklichung des grünen Paradieses hat für diese Regierung Vorrang, auch wenn die Abschaltung der letzten drei Reaktoren negative Auswirkungen auf das Klima und die Energiesicherheit in Deutschland hat. Der deutsche Atomausstieg ist pure Ideologie, Fakten spielen dabei keine große Rolle (NZZ: 14.04.23).


Absurdes Ende: Deutschlands Atomausstieg und die Folgen für die Klimabilanz

Die Geschichte des deutschen Atomausstiegs, der vor zwei Jahrzehnten von der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder ausgerufen wurde, findet nun ein absurdes Ende. Trotz ihrer Sicherheit und Wirtschaftlichkeit werden die letzten Kernkraftwerke inmitten einer Energiekrise abgeschaltet. Es gibt kaum eine bizarrere Entwicklung.

Als Resultat der irrationalen Entscheidung verschlechtert sich die deutsche Klimabilanz. Nicht nur aufgrund des Verzichts auf russisches Gas, sondern auch wegen des forcieren Atomausstiegs in den letzten Jahren steigt der Anteil von Kohlestrom. Es ist kaum zu glauben, dass ausgerechnet die Grünen zu den eifrigsten Verfechtern des klimaschädlichen Kohlesektors geworden sind.

Dieser Umstand ist auf reine Ideologie zurückzuführen. Ideologien haben in der Geschichte der Menschheit stets immense Auswirkungen gehabt, gerade weil sie Fakten außer Acht lassen. Sie basieren auf dem unbändigen Wunsch, die Welt einer bestimmten Weltanschauung zu unterwerfen.

Politische Entscheidungsprozesse: Zwischen Ideologie und Realität. Die deutsche Energiepolitik und der Atomausstieg
Politische Entscheidungsprozesse: Zwischen Ideologie und Realität. Die deutsche Energiepolitik und der Atomausstieg

Der ideologische Ursprung des deutschen Atomausstiegs und seine politischen Auswirkungen

Im Angesicht des Klimawandels und der Energiekrise auf Atomkraft zu verzichten, obwohl sie CO₂-arm ist und im Gegensatz zu Wind- und Sonnenstrom rund um die Uhr verfügbar ist, ist nichts anderes als ideologisch motiviert. Diese Ideologie wurde vor einem halben Jahrhundert geboren, als der Kampf gegen den Bau des Atomkraftwerks Wyhl in Südbaden begann und noch nicht von dem Wissen über die Erderwärmung belastet war. Sie prägt bis heute die politische Landschaft, insbesondere in Westdeutschland.

Die Grünen, die seit ihrer Entstehung als willige Vollstrecker der Anti-Atom-Bewegung auftreten, wären ohne diese Bewegung nicht existent. Wenn Historiker in der Zukunft die Irrationalität des Atomausstiegs analysieren, werden sie jedoch nicht nur diese Partei in den Fokus nehmen.

Die Grünen tragen sicherlich die Hauptverantwortung, doch fast alle anderen Parteien haben ihren Anteil an der umweltschädlichen Energiepolitik, die in ihrer Konsequenz zum Atomausstieg geführt hat. Die SPD beschloss den ersten Atomausstieg gemeinsam mit den Grünen. Die Unionsparteien lehnten ihn zunächst ab, um ihn dann in einer ebenso bizarren wie entschiedenen Kehrtwende voranzutreiben.


Skurrile Entscheidungen und ideologische Widersprüche: Die deutsche Energiepolitik und der Atomausstieg

Als Unterstützer dienten der Kanzlerin Angela Merkel in einer schwarz-gelben Koalition die Liberalen – dieselben Liberalen, die den Atomausstieg in einer Ampelkoalition bekämpfen. Es ist kaum zu leugnen, dass die deutsche Energiepolitik ein Sammelsurium von Skurrilitäten und Fehlentscheidungen ist.

Wie es für eine Ideologie typisch ist, nimmt auch die Anti-Atom-Doktrin keine Rücksicht auf die menschliche Natur. Menschen neigen dazu, sich von großen Ideen begeistern zu lassen, aber auf dem Weg zu ihrer Verwirklichung tauchen oft zahlreiche Gründe auf, warum das edle Endziel noch aufgeschoben werden muss.

Das gilt auch für den Klimaschutz. Jeder ist dafür, besonders die Deutschen, mit großem Eifer. Die Reduktionsziele, die möglichst in weiter Ferne liegen, können nicht radikal genug sein. Doch wenn es um die Umsetzung geht, tauchen plötzlich tausend Gründe auf, die alles unendlich kompliziert machen.

Zwischen Tempo und Kompromissen: Herausforderungen bei der Reduzierung fossiler Heizungen und dem Klimaschutz

Bereits die an sich nicht besonders komplexe Frage, wie der Anteil fossiler Heizungen reduziert werden kann, spaltet die Regierung. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck drängt auf Tempo, während die Koalitionspartner mit Blick auf Wirtschaftlichkeit und soziale Verträglichkeit bremsen. Selbst eine langwierige Marathonsitzung der Koalition führte zu keiner Lösung. Ein endgültiger Kompromiss im Gesetzestext muss noch gefunden werden.

In der Theorie sind alle für Klimaschutz. Doch in der Praxis gibt es zahlreiche Zielkonflikte. Es ist daher notwendig, ausreichend Zeit für unvermeidliche Abwägungen von Interessen und technische Lösungen einzuräumen, um sich an den Klimawandel anzupassen.

Denn je länger der politische Prozess dauert, desto unwahrscheinlicher wird es, dass der Temperaturanstieg seit Beginn der Industrialisierung auf 1,5 Grad begrenzt werden kann. Selbst 2 Grad bleiben ambitioniert. Dies anzuerkennen ist kein Defaitismus von „Klimaleugnern“, sondern eine realistische Einschätzung der Faktenlage.


Atomkraft als Brückentechnologie: Klimafreundliche Option trotz wirtschaftlicher Herausforderungen

Es sind klimafreundliche Technologien erforderlich, die die Zeit bis zur Dekarbonisierung überbrücken können. Die Atomenergie kann eine solche Brückentechnologie sein. Obwohl Herstellung und Wiederaufarbeitung der Brennelemente das Klima belasten, ist der Betrieb der Atomkraftwerke nahezu frei von CO₂-Emissionen.

Die Sicherheitsrisiken, die in der Frühphase der Atomkraftwerke zu Recht diskutiert wurden, haben sich als beherrschbar erwiesen. Der Slogan „Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv“ war zwar eingängig, aber falsch. Die noch nicht gelöste Frage der Endlagerung kann mit sicheren Übergangslösungen bewältigt werden. Auch die Angst vor einem „Atomstaat“, einer repressiven Gesellschaft im Namen des Fortschritts, war unbegründet.

Heutzutage sind die einzigen validen Argumente gegen die Atomkraft wirtschaftlicher Natur, doch sie betreffen nicht die abgeschriebenen und voll funktionsfähigen Altanlagen.

Grüne Ideologie und die Realität

Vor nicht allzu langer Zeit forderten die Grünen selbst Brückentechnologien und glaubten, diese im Erdgas gefunden zu haben. Doch seit der Hauptlieferant Russland ausfällt, erfordert die Abhängigkeit von Gas zusätzliche Anpassungen. Nun setzt Habeck darauf, verflüssigtes Gas aus Afrika und dem Nahen Osten zu beziehen.

Die Grünen betrachten fossile Brückentechnologien wie Gas als akzeptabel, obwohl sie die Atmosphäre verschmutzen, während sie die klimafreundliche Atomenergie ablehnen. Die Verweigerung der Realität, wenn sie den eigenen Vorstellungen widerspricht, ist ein charakteristisches Merkmal jeder Ideologie.

Es ist richtig, dass eine erfolgreiche Ideologie oft die menschliche Natur ignoriert oder verkennt. Ein Beispiel dafür ist der Kommunismus, der den „neuen Menschen“ propagierte, der angeblich alle egoistischen Tendenzen überwindet, um der sozialistischen Gesellschaft zu dienen. Jedoch blieb der Mensch trotzdem widersprüchlich und egoistisch, was dazu führte, dass die kommunistischen Ideale nicht in der Realität umgesetzt werden konnten.


Politische Entscheidungsprozesse: Zwischen Ideologie und Realität

Der Streit um fossile Heizungen und andere politische Herausforderungen zeigen, wie reale politische Prozesse oft große Ziele ausbremsen können. Politiker und Parteien geben oft ambitionierte Versprechen, die in der Umsetzung pragmatischer und komplexer sind als zunächst angekündigt. Dieses Dilemma wird manchmal verleugnet oder ignoriert, was zu Enttäuschungen und Kritik führen kann.

Es ist wichtig anzuerkennen, dass politische Entscheidungsprozesse oft von verschiedenen Interessen, Zielkonflikten und der Komplexität der Realität geprägt sind. Es erfordert eine ausgewogene Betrachtung von verschiedenen Perspektiven, eine realistische Einschätzung der menschlichen Natur und die Bereitschaft, mit komplexen Herausforderungen umzugehen, um effektive politische Lösungen zu finden. Simplistische Ideologien können oft an ihre Grenzen stoßen, wenn es darum geht, reale politische Probleme anzugehen.

Der Grundkonflikt zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik liegt darin, dass erstere oft ausschließlich auf abstrakte, reine Anliegen fokussiert ist und Kompromisse vermeidet, während letztere erkennt, dass es keine absoluten Wahrheiten gibt und erfolgreiche Politik Abstriche an den ursprünglichen Anliegen erfordert.

Gesinnungsethik und das deutsche Dilemma

Gesinnungsethik wird oft mit der Jugend assoziiert, wie bei Fridays for Future oder der letzten Generation, die von dieser Ethik ausgiebig Gebrauch macht. Es ist jedoch bedenklich, dass selbst das Bundesverfassungsgericht oft mehr Interesse an Gesinnung als am schwierigen Weg der Umsetzung zeigt, was eine spezifisch deutsche Verrücktheit sein könnte.

Im Jahr 2021 verpflichtete das Bundesverfassungsgericht in seinem Klima-Urteil Legislative und Exekutive auf ehrgeizige Langfristziele, ohne dabei in Betracht zu ziehen, dass zukünftige Generationen möglicherweise andere Prioritäten setzen könnten. Der Grundsatz des „Hauptsache, gut gemeint“ ist kein vernünftiger Leitfaden für kluge Staatsräson, obwohl sich das Verfassungsgericht als Wächter dieser Staatsräson darstellt.

Der Atomausstieg ist letztendlich ein Streifzug durch die Geistesgeschichte, der außer Kontrolle geraten ist. Idealismus hat sich immer für reine Vorstellungen interessiert, und die Romantik fand diese in der Natur (und später zeitgemäß in der Jagd auf das Waldsterben). Wenn am Wochenende die letzten drei Reaktoren in Deutschland vom Netz gehen, triumphiert wieder einmal der deutsche Idealismus. Wie immer, wenn es so weit kommt, ist das eher eine Drohung als eine Verheißung.

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