Kürzlich verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz, dass die Bundesregierung es in einem „neuen deutschen Tempo“ geschafft hat, andere Quellen für die Versorgung mit Erdgas zu finden. Der Grund dafür liegt darin, dass die Versorgung mit Erdgas durch den einstigen Partner Russland seit dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine unsicher geworden ist. Zudem ist seit dem Sabotageakt auf die Nord-Stream-Pipeline die Gasversorgung kaum noch möglich. Ersatz kommt hauptsächlich in Form von Flüssiggas aus Amerika. Doch dort leiden die Menschen mittlerweile unter dem Exportboom, denn der Flüssiggas-Boom zerstört wichtige Lebensräume und schadet auch dem Klima (Telepolis: 04.05.23).
Deutschland setzt auf LNG als Alternative zu russischem Erdgas
Als attraktive Lösung bietet sich derzeit Flüssiggas, oder Liquified Natural Gas (LNG), an. Die Umwandlung von Flüssiggas erfolgt in Europa mit sogenannten „FSRUs“ (Floating Storage and Regasification Units), also gigantische Tankschiffe, die dazu ausgerüstet sind, verflüssigtes Erdgas zu regasifizieren und per Pipeline ins deutsche Energienetz zu speisen. In Wilhelmshaven, Lubmin, Stade und Brunsbüttel entstehen insgesamt sechs FSRUs mit notwendigen Dockanlagen gebaut, wovon bereits die Hälfte im Einsatz ist.
Wenn die aktuelle Versorgungslage stabil bleibt, könnte Deutschland in wenigen Jahren sogar mehr Erdgas in Form von LNG importieren als zuvor aus Russland. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hat vorgeschlagen, den Überschuss an europäische Nachbarländer zu verkaufen.
Aber woher kommt das neue Gas, wenn nicht aus Russland? Neben Norwegen und Belgien sind die USA mittlerweile zu einem der wichtigsten Gaslieferanten Europas geworden. Kein anderer Staat auf der Welt exportiert derzeit so viel fossiles Erdgas wie die Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Folgen des Erdgasexports aus Texas für die Region und Umwelt
Emma Guevara, eine Aktivistin für Umweltschutz beim Sierra Club, bezeichnet die Erdgasindustrie als gefährlich, schädlich und zerstörerisch. Obwohl der Export in zahlungskräftige Länder in Nordeuropa für amerikanische Produzenten aufgrund enormer Preisanstiege ein lukratives Geschäft ist, zeigt sich bei Betrachtung der neuen Lieferketten ein komplizierteres Bild.
Die Verschiffung des amerikanischen Erdgases erfolgt von Rio Grande Valley aus, einer Region an der südlichsten Spitze von Texas, die von einer jungen grünen Landschaft zwischen Mexiko im Westen und dem Atlantischen Ozean im Osten geprägt ist. Das subtropische Klima im Rio Grande Valley macht es zu einer wichtigen Agrarregion für die Vereinigten Staaten. Dort pflanzen Farmer seit Generationen Zitrusfrüchte, Zuckerrohr und Baumwolle an. In den Gewässern des Golfs von Mexiko, vor der Küste, gibt es eine reiche Vielfalt an Fischen und Krabben.
Die texanische Küste ist für die Gasindustrie derzeit ein äußerst attraktives Zielgebiet. Mit seinen enormen Fördergebieten und einer regierungsseitig industriefreundlichen Haltung stellt der große Bundesstaat im tiefen Süden der USA einen idealen Partner für die europäischen Abnehmer dar, die hungrig nach Erdgas sind. Zahlreiche Pipelines wurden bereits bis zu den Küstenregionen verlegt, um die Ansiedlung von Terminals zu fördern, von denen aus das Erdgas verflüssigt und verschifft wird. Trotzdem bleibt das Rio Grande Valley eine strukturell benachteiligte Region, in der fast ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, von denen über 90 Prozent Latinos sind. Emma Guevara, sagt, dass in ihrer Heimat die Grenze zwischen erster und dritter Welt verschwimmt.
Verflüssigung und Transport von Erdgas: Wie die USA zu einem wichtigen Gaslieferanten Europas geworden sind
Um das Gas in europäische Stromnetze einspeisen zu können, wird es in Texas zunächst verflüssigt. Dazu wird es auf minus 162 Grad Celsius heruntergekühlt, damit es platzsparend auf großen Tankschiffen transportiert werden kann. Bei der Ankunft in Europa wird das Gas dann wieder „regasifiziert“. Trotz des Umstands, dass bis zu einem Viertel des Gases für den Energieaufwand bei der Verflüssigung verbraucht wird, lohnt sich der Aufwand für die Produzenten aufgrund der derzeitigen Höchstpreise.
Die Terminals namens „Rio Grande LNG“ und „Texas LNG“, an denen das Flüssiggas verladen werden soll, werden an einem Ort gebaut, wo die Landschaft allmählich in den Ozean übergeht. Der Rio Grande hat seit 1848 die Grenze zwischen den USA und Mexiko gebildet, aber das Delta zwischen Atlantik und Fließgewässern ist seit Jahrtausenden besiedelt.
Dr. Christopher Basaldú gehört zu den Esto’k Gna, einer Stammesgruppe, deren Geschichte weit vor die Gründung beider Staaten zurückreicht. An einem verregneten Tag führt uns der Experte für indigene Kulturen zur Baustelle von „Texas LNG“, die am Ende einer bröckelnden Landstraße liegt.
Konflikt um Baustelle für Flüssiggas-Terminal auf heiligem Land der Esto’k Gna-Stammesgruppe
Mehrere Firmen-Pickup-Trucks mit Logos stehen auf einer frisch gezogenen Baustraße, aber durch das hohe Schilfgras kann man nur wenig erkennen. Es ist offensichtlich, dass die Vorbereitungen für das Großprojekt auch an diesem Tag fortgesetzt werden.
Dr. Christopher Basaldú erklärt, dass der Ort, an dem „Texas LNG“ entsteht, heilig für seinen Stamm, die Esto’k Gna, ist. Auf der sogenannten Garcia-Pasture, hat man tausende Artefakte des Stammes gefunden. „Es gab hier Dörfer, und hier wurden Menschen begraben“, sagt Basaldú.
Dr. Basaldú erklärt, dass sein Stamm trotz dieser Geschichte den Zugang zu dem Gebiet verboten wird. „Wenn wir uns dort aufhalten würden, würden wir uns strafbar machen“, sagt Basaldú. Kurz darauf kommt ein Mann in Arbeitskleidung die Straße hinuntergelaufen und tritt an das offene Autofenster ran.
Kampf um geplante Gas-Terminals bei Brownsville
Die Behörden haben vor kurzem die geplanten Terminals bei Brownsville genehmigt. Dass der enge Schiffskanal, an dem sie entstehen sollen, inmitten ökologisch empfindlicher Feuchtgebiete liegt und wichtige Kulturstätten der Esto’k Gna betoniert, hat man dabei allerdings nicht beachtet.
Obwohl die Esto’k Gna eine jahrtausendealte Geschichte in den USA haben, sind sie auf Bundesebene nicht anerkannt und haben daher politisch noch weniger Macht als viele andere Stammesgemeinden im Süden der USA.
Die Vereinigten Staaten haben derzeit viel Erdgas anzubieten, was vor allem dem Fracking zu verdanken ist. Seit Ende der Nuller-Jahre wurden durch diese „unkonventionelle Fördermethode“, wie es in der trockenen Sprache der US-Öl- und Gasindustrie heißt, massive Vorkommen in den USA freigelegt und für den Export zu Flüssiggas verflüssigt.
Erschließung neuer Öl- und Gasressourcen im Permbecken durch Fracking
Seit Ende der 2000er Jahre herrscht im Permbecken ein regelrechter Boom. Dort, wo Öl- und Gasvorkommen als erschöpft galten, können durch die Kombination von Hochdruck und einem Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien nun plötzlich neue Ressourcen erschlossen werden. Das Permbecken erstreckt sich über einen großen Teil des Nordwestens von Texas und reicht bis in den benachbarten Bundesstaat New Mexico. Die flache Landschaft der Region sieht aus der Ferne fast aus, als wären sie von riesigen eisernen Insekten bewohnt. Zwischen den klassischen Bohrtürmen finden sich auch zahlreiche Anzeichen für Fracking: LKWs mit bauchigen Wassertanks, Zwischenspeicher für Methangas und große Sandwerke, in denen der „Fracksand“ aufbereitet wird, mit dem die Öl- und Gasreserven unter dem Permbecken angezapft werden.
Gefahren des Fracking: Forscherin warnt vor toxischem Gas aus Ölquellen
Der Grund für die strengen Einschränkungen und das Verbot von Fracking in Deutschland und den meisten EU-Staaten ist nicht unbegründet. Das Fracking bedroht unter anderem das Grundwasser durch die Injektion von Chemikalien und das Aufbrechen großer Reservoire. Auch die Entsorgung des genutzten Wassers stellt ein Problem dar. Im Permbecken nutzen die Betreiber häufig bereits benutzte Bohrlöcher, was in manchen Teilen von West Texas zu seismischer Aktivität führt. Die zahlreichen Ölfelder der Region haben neben ihrem industriellen Aussehen oft einen starken Gestank, der von Schwefelwasserstoff herrührt, einem toxischen Gas aus Ölquellen. Dr. Amy Townsend-Small von der Universität Cincinnati im Bundesstaat Ohio macht darauf aufmerksam.
Dr. Amy Townsend-Small hat sich seit mehr als zehn Jahren auf die Untersuchung der durch Ölbohrungen verursachten Emissionen spezialisiert. Dabei stellt sie fest, dass Schwefelwasserstoff so gefährlich ist, dass es tödlich sein kann, wenn man zu lange oder in zu hoher Konzentration damit in Berührung kommt. Um die Gefahr zu minimieren, sind die Arbeiter auf den Ölfeldern inzwischen verpflichtet, kleine Sensoren mit sich zu tragen, die alarmieren, wenn die Konzentration des Gases zu hoch wird.
Die dunkle Seite der Erdgasförderung in Texas und ihre Auswirkungen auf das Klima
Obwohl Schwefelwasserstoff ein gefährliches Gas ist, entweicht im Permbecken von Texas auch natürlicherweise Methangas in die Atmosphäre. Neben Tausenden von unversiegelten Bohrstellen wird in dieser Region tonnenweise Gas freigesetzt.
Einige Ölfirmen in Texas betrachten ihr produziertes Gas immer noch als lästiges Nebenprodukt, obwohl sich viele bemühen, es zu verkaufen. Es gibt zwei Methoden, um überschüssiges Gas loszuwerden: Verbrennen, dem sogenannten „Flaring“, oder es einfach in die Atmosphäre entweichen lassen, was man als „Venting“ bezeichnet. Letzteres ist in Texas legal, obwohl Schätzungen der Umweltorganisation Environmental Defense Fund zeigen, dass das Permbecken möglicherweise die größte Methanquelle der Welt ist. Methan ist ein potentes Treibhausgas mit hohem Wärmepotenzial und trägt damit stark zum Klimawandel bei.
Emma Guevara aus dem Rio Grande Valley möchte, dass Konsumenten in Deutschland und Europa sich bewusst werden, welche Spuren die Förderung und der Export von Erdgas in ihrer Heimat hinterlässt. Sie fragt sich, warum Fracking in Europa verboten ist, aber in Texas erlaubt bleibt. Sie hat das Gefühl, dass ihre Region dem Wohlstand Europas zum Opfer fällt – zum zweiten Mal.