Die Finanzindustrie strebt zunehmend danach, Rüstungshersteller als nachhaltig einzustufen und damit eine Tür für milliardenschwere Investitionen zu öffnen. Angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat sich das Bild der Waffenindustrie in Teilen der Gesellschaft gewandelt. Was einst als ethisch fragwürdig galt, könnte nun von deutschen Banken und Fonds als „nachhaltig“ gefördert werden. Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) betont, dass die politische Lage und neue regulatorische Vorgaben diese Entwicklung vorantreiben. Dabei sollen völkerrechtlich geächtete Waffen weiterhin von Investitionen ausgeschlossen bleiben, doch die Verteidigungsindustrie insgesamt könnte bald Teil von nachhaltigen Fonds sein (ntv: 15.09.24).
Wandel der Definition von Nachhaltigkeit
Die Europäische Wertpapieraufsicht ESMA erlaubt inzwischen, Rüstungshersteller als nachhaltig einzustufen. Ausgenommen davon sind jedoch Hersteller geächteter Waffen wie Streumunition oder Anti-Personen-Minen. Magdalena Kuper vom Deutschen Fondsverband BVI sagte im Interview mit ntv, dass seit dem Beginn des Ukraine-Krieges eine Diskussion über die gesellschaftliche Bedeutung der Verteidigungsindustrie entstanden ist.
Diese Debatte solle nun auch Fondsmanagern und Investoren zugänglich gemacht werden. Sie sollen die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, ob sie in Rüstungshersteller investieren wollen oder nicht. Befürworter argumentieren, dass Waffen zur Friedenssicherung beitragen, Kritiker hingegen lehnen die Idee strikt ab.
Kritische Stimmen zur Rüstungsindustrie
Einer der schärfsten Kritiker der Einstufung von Waffen als nachhaltig ist Union Investment. Das Unternehmen hat bereits angekündigt, auf Investitionen in Rüstungshersteller weiterhin zu verzichten. Fondsmanager Henrik Pontzen betonte: „Rüstung ist notwendig, aber nicht nachhaltig.“ Waffen führen unweigerlich zu „Tod und Leid“, was mit dem Nachhaltigkeitsprinzip unvereinbar sei. Auch Verena Menne vom Forum „Nachhaltige Geldanlagen“ betont, dass Sicherheit und Nachhaltigkeit nicht gleichzusetzen sind. Zwar müsse sich ein Land verteidigen können, doch das mache die dafür notwendigen Mittel nicht automatisch nachhaltig. Hier besteht für viele ein deutlicher Widerspruch zwischen der Notwendigkeit militärischer Ausrüstung und den ethischen Anforderungen an nachhaltige Investitionen.
Rüstungsaktien boomen trotz Kritik
Ungeachtet der kontroversen Diskussionen erlebt die Rüstungsindustrie einen Boom. Laut der Financial Times haben europäische nachhaltige Investmentfonds seit Beginn des Ukraine-Krieges ihre Investitionen in Verteidigungsunternehmen mehr als verdoppelt. Etwa ein Drittel der sogenannten ESG-Fonds hält inzwischen Aktien im Rüstungssektor im Wert von 7,7 Milliarden Euro. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den 3,2 Milliarden Euro im Jahr 2022. Auch die Finanzmärkte haben entsprechend reagiert. Der Index „Stoxx Total Market Aerospace & Defence“ stieg seit Anfang 2022 um mehr als 80 Prozent. Trotz aller Bedenken zeigt sich, dass der Waffenmarkt ein weiterhin äußerst profitables Geschäft bleibt. Dies gilt selbst unter dem Vorwand der Nachhaltigkeit, der zunehmend als Rechtfertigung für solche Investitionen herangezogen wird.
Diese Entwicklung verdeutlicht die wachsende Kluft zwischen ethischen Ansprüchen und finanziellen Interessen. Anlegerinnen und Anleger müssen in Zukunft genauer hinschauen, wohin ihr Geld fließt, denn die Grenzen dessen, was als nachhaltig gilt, werden zunehmend verschwommen.
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