Die Dämmung galt lange als zentrale Stellschraube für den Klimaschutz im Gebäudesektor, doch neue Analysen relativieren ihre Bedeutung. Deutschlands Gebäude verursachen weiterhin rund ein Drittel der nationalen Emissionen, während ambitionierte Sanierungsziele seit Jahren verfehlt werden. Stattdessen rückt der Heizungstausch stärker in den Fokus, weil er schneller wirkt und Kosten besser verteilt. Diese Neuausrichtung verändert die Prioritäten im Gebäudesektor grundlegend, weil Investitionen stärker in den schnellen Austausch fossiler Heizsysteme fließen und weniger in kostenintensive Dämmmaßnahmen (klimareporter: 22.12.25).
Dämmung und Sanierungsquote: Anspruch und Wirklichkeit
Seit 2010 verfolgt die Politik das Ziel, jährlich zwei Prozent aller Gebäude energetisch zu modernisieren, weil eine verbesserte Dämmung den Heizbedarf senken soll. In der Praxis liegt die Sanierungsquote jedoch nur bei rund 0,7 Prozent. Eigentümer schrecken vor hohen Kosten zurück, und auch bauliche Hürden spielen eine Rolle. Zudem stößt die thermische Gebäudehülle bei älteren Beständen schnell an technische Grenzen, weshalb Fortschritte langsamer ausfallen als geplant.

Eine neue Untersuchung im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität zeigt deshalb, dass geringere Sanierungsraten nicht automatisch das Ende der Klimaneutralität bedeuten. Entscheidend ist vielmehr, die Erzeugung der Wärme und welche Systeme fossile Energien ersetzen.
Heizungstausch verändert die Kostenlogik
Die Studie vergleicht zwei Szenarien, weil sie Wirtschaftlichkeit und Wirkung transparent machen will. Im ersten Fall bleibt die Sanierungsquote langfristig bei etwa einem Prozent. Im zweiten steigt sie bis 2045 auf rund 1,7 Prozent. Weniger Dämmung bedeutet zwar einen höheren Energiebedarf, doch gleichzeitig sinkt der Investitionsdruck deutlich.
Marco Wünsch von Prognos erklärt dazu: „Wir haben geprüft, was passiert, wenn die energetische Sanierungsrate in Zukunft nicht weiter ansteigt, sondern auf dem heutigen Niveau bleibt.“ Die Folge ist ein moderater Mehrverbrauch, der jedoch günstiger ausfällt als flächendeckende Modernisierung. Der Heizungstausch erweist sich dabei als effizienter Hebel, weil moderne Systeme schneller Emissionen senken als zusätzliche Fassadendämmungen.
Wärmewende als technischer Treiber
Langfristig gleichen sich Mehrkosten und Einsparungen nahezu aus. Bis 2030 spart Deutschland im moderaten Szenario rund 200 Millionen Euro, während bis 2045 etwa 100 Millionen Euro verbleiben. Gleichzeitig wird deutlich weniger Wohnfläche umfassend modernisiert, obwohl alternative Maßnahmen greifen. Die Wärmewende basiert dabei auf Wärmenetzen, elektrischen Lösungen und Umweltwärme, während fossile Heizungen schrittweise verschwinden.
Kurzfristig steigt der Energieverbrauch leicht, weil weniger Gebäude mit zusätzlicher Isolierung ausgestattet werden. Bis 2030 beträgt der Anstieg etwa ein Prozent. Bis 2045 liegt er bei rund vier Prozent, dann jedoch vollständig aus erneuerbaren Quellen. Damit bleibt die Klimaneutralität erreichbar, auch wenn der Weg dorthin anders verläuft als ursprünglich geplant.
Soziale Effekte gezielter Maßnahmen
Ein weiterer Vorteil liegt in der sozialen Dimension, weil gezielte Investitionen effizienter wirken. Statt flächendeckender Dämmung empfiehlt die Studie, besonders ineffiziente Gebäude zu priorisieren, die weder gut isoliert sind noch kurzfristig mit Wärmepumpen versorgt werden können. Diese Strategie senkt individuelle Belastungen und erhöht die Akzeptanz der Wärmewende.
Thomas Losse-Müller von der Stiftung Klimaneutralität betont: „Denn während individuelle Sanierungskosten einzelne Haushalte gerade in angespannten Wohnungsmärkten oder mit geringen Einkommen schnell überfordern können, verteilen sich die Mehrkosten im Stromsystem auf viele Stromverbraucher.“ Gerade Haushalte mit niedrigem Einkommen profitieren, weil Förderprogramme für Dämmung bislang vor allem von höheren Einkommensgruppen genutzt werden.
Neue Prioritäten für den Gebäudesektor
Die Analyse zeigt klar, dass eine moderate Sanierungsquote in Kombination mit konsequentem Heizungstausch realistische Fortschritte ermöglicht. Während bauliche Aufwertung weiterhin wichtig bleibt, verliert sie ihren Status als alleiniger Schlüssel. Entscheidend ist eine kluge Mischung aus Technik, Finanzierung und sozialer Balance, damit die Klimaneutralität im Gebäudesektor erreichbar bleibt.
Lesen Sie auch:
- Nach dem Einbruch beim Wohnungsbau brechen der Baubranche auch Aufträge zur Sanierung weg
- Zwischen Ziel und Realität: Klimaneutralität im Gebäudesektor bleibt eine Illusion
- Energiepolitik im Gebäudesektor – eine gescheiterte Mission mit dramatischen Folgen
- Trotz Wohnungsnot – Auftragsmangel in der Bauwirtschaft steigt auf neuen Rekord
