Bauwirtschaft in Bedrängnis – durch den Kohleausstieg wird jetzt Gips knapp

Der geplante Kohleausstieg bringt die deutsche Bauwirtschaft in eine existenzielle Rohstoffkrise: Gips, ein zentraler Baustoff, droht in den kommenden Jahren massiv knapp zu werden. Bis zu 60 Prozent des in Deutschland verwendeten Gipses stammen bisher aus der Rauchgasentschwefelung der Kohlekraftwerke. Dieser industrielle Prozess galt als effiziente Art des Recyclings und sorgte für eine zuverlässige Versorgung der Baubranche mit hochwertigem Gips. Mit dem schrittweisen Abschalten der Kohlekraftwerke entfällt diese Quelle jedoch vollständig (taz: 30.10.24)


Steigender Naturgipsabbau als riskante Notlösung

Um den Gipsbedarf zu decken, plant die Industrie nun den Abbau natürlicher Vorkommen stark zu erweitern. Diese Lagerstätten erstrecken sich in einem weiten Bogen von Süddeutschland bis in den Harz, darunter auch ökologisch wertvolle und geschützte Naturgebiete. Besonders umstritten ist das Vorgehen im Südharz, wo die Firma Knauf Probebohrungen selbst im Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz durchführen möchte. Der Deutsche Naturschutzring (DNR) und weitere Umweltschutzorganisationen warnen, dass der erhöhte Gipsabbau einzigartige Landschaften und Ökosysteme unwiederbringlich zerstören könnte. Die Industrie könnte hier kurzfristig Versorgungslücken schließen, langfristig aber schwere Schäden an den natürlichen Lebensräumen hinterlassen.

Der deutschen Bauwirtschaft droht die nächste Krise - durch den Kohleausstieg kommt es zum Versorgungsmangel mit Gips
Der deutschen Bauwirtschaft droht die nächste Krise – durch den Kohleausstieg kommt es zum Versorgungsmangel mit Gips

Die Kritiker sehen die kurzfristigen Lösungen im Naturgipsabbau als falschen Weg und warnen vor einer Rohstoffpolitik, die auf Kosten der Umwelt den Bedarf deckt, anstatt Alternativen konsequent zu fördern. Der erhöhte Abbau könnte zudem die Abhängigkeit von begrenzten Ressourcen noch weiter verstärken.

Recycling aus Kohlekraftwerken: Ein verkanntes Modell

Die bisherige Nutzung des Kohlegipses war in sich ein geschlossener Recyclingkreislauf. Gips, der aus der Rauchgasentschwefelung gewonnen wurde, entsprach den Standards und ermöglichte eine kostengünstige und effiziente Versorgung der Bauwirtschaft. Dieser Prozess stellte sicher, dass Abfallstoffe aus der Kohleverstromung eine sinnvolle Weiterverwertung fanden. Der nun durch den Kohleausstieg verursachte Ausfall dieser Quelle hinterlässt eine Lücke, die sich so einfach nicht schließen lässt. Auch wenn Gips recycelt werden kann, bleiben die Mengen begrenzt, da Gipsbaustoffe beim Abriss von Gebäuden oft direkt auf Deponien landen.

Begrenztes Potenzial des Gipsrecyclings in Deutschland

In der Theorie könnte Recycling ein bedeutender Teil der Gipsversorgung werden, doch die Umsetzung stößt auf praktische Grenzen. Das Unternehmen MUEG entwickelt zwar bereits seit Jahren Anlagen, die altes Baumaterial in wiederverwendbaren Gips umwandeln, doch dieser Prozess ist aufwendig und kostenintensiv. Der Recyclinganteil an Gips ist in Deutschland aktuell marginal und deckt lediglich etwa zehn Prozent des Bedarfs. Abbruchmaterial wird hierzulande in den meisten Fällen weiterhin deponiert, da diese Form der Entsorgung günstiger ist als die Wiederaufbereitung. In anderen europäischen Ländern wie Belgien und den Niederlanden fördern hohe Deponiegebühren das Recycling. Diese Anreize könnten auch für Deutschland ein Vorbild sein. Dennoch bleibt Kohlegips, der bislang direkt der Bauindustrie diente, kaum zu ersetzen. Selbst durch verstärktes Recycling lässt sich der Verlust in Deutschland nur schwer ausgleichen.


Politische Verantwortung für eine nachhaltige Rohstoffstrategie

Die drohende Gipsknappheit macht sichtbar, wie abhängig die Bauwirtschaft von Kohlekraftwerken war. Der Kohleausstieg zeigt nun drastisch seine Auswirkungen auf den Bausektor. Die Politik steht vor einer großen Aufgabe: Sie muss kurzfristige Lösungen für den Gipsbedarf finden und zugleich langfristig den Umweltschutz sichern. Forderungen nach einer stärkeren Nutzung von Naturgips, wie sie die Koalition aus CDU, SPD und FDP in Sachsen-Anhalt unterstützt, könnten zwar den Engpass mildern. Doch diese Maßnahmen widersprechen einem nachhaltigen Ansatz.

Die aktuelle Gipskrise zeigt deutlich, dass die Abhängigkeit der Bauindustrie vom Kohlegips eine unhaltbare Strategie war. Die Folgen des Kohleausstiegs sind nun klar zu spüren. Der Wegfall von Kohlegips als recycelbarem Material erfordert ein Umdenken in der Industrie. Eine nachhaltige Nutzung von Umweltressourcen und eine breitere Basis für den Rohstoffbedarf werden wichtiger denn je.

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